Auszug aus der Veröffentlichung "Frankreich lohnt sich"
In Frankreich und in Deutschland herrschen zwei verschiedene Kulturarten hinsichtlich Prozesse und Kommunikation. Frankreich ist eher eine informelle Welt und man muss dementsprechend dauernd die korrekte Umsetzung der Entscheidungen überprüfen.
Deutschland
Schriftliche Anweisungen garantieren dem Unternehmen einen ordnungsgemäßen Ablauf und dem Mitarbeiter eine gewisse Sicherheit: Wenn sie sich an die vorgegebenen Prozesse halten, kann ihnen niemand etwas vorwerfen - auch wenn etwas schief geht.
In Deutschland gibt es für alles einen Prozess. Für alles gibt es ein "Schema F".
Man organisiert soviel wie möglich und alles wird bis ins Detail durchdacht. Prozesse unterliegen einer sehr hohen Formalisierung. Sobald Entscheidungen getroffen wurden, werden die Abläufe präzise festgelegt.
Die schöne, prozessgeprägte Welt gilt für Deutsche als das „non plus ultra“ des Managements. Ihr Erfolg auf den Auslandsmärkten gibt ihnen Recht.
Frankreich
Der französische Bergbauingenieur Henri Fayol legte schon bereits im Jahre 1916 in seinem „Traité d’Administration Générale" fest, dass ordentliches Management zwangsläufig vier Phasen vorsieht:
- Prévoir – Prognose;
- Organiser - Planung à Optimierung der Ressourcen;
- Appliquer – Umsetzung;
- Controler - Kontrolle à um bei Bedarf, Korrekturmaßnahmen einzuleiten.
Damit gilt er als Vorreiter des modernen Management-Regelkreises (Ist-Zustand, Ziele, Planung, Entscheidung, Umsetzung und Kontrolle).
Dennoch werden diese Prinzipien in Frankreich nur am Rande berücksichtigt.
Franzosen bestehen auf ihre Autonomie und finden Regeln öde. Für sie ist der Amerikaner Frederick Winslow Taylor der Teufel, der den Menschen mit seiner Prozesssteuerung zum Sklaven machen will.
Auch Unternehmen streben nach größtmöglicher Flexibilität und haben eine starke Zurückhaltung in Standardisierungsfragen. Auch Unternehemen sehen von einer totalen Formalisierung der Abläufe ab.
Die Aussage, man empfinde in Frankreich das Organisieren als Last, wäre übertrieben. Nichtsdestotrotz sollte es so wenig Regeln wie möglich geben. Daher gibt es in Frankreich nur eine sehr geringe Formalisierung.
Man formalisiert nur, wenn es nicht mehr anders geht.
Henri Fayol selbst sagte einst : ,,Toutes les fois que c'est possible les relations doivent être verbales. On y gagne en rapidité, en clarté, et en harmonie.“ – „Wann immer es möglich ist, sollte die Kommunikation verbal sein. Man gewinnt dabei an Geschwindigkeit, an Klarheit und an Harmonie.“
In großen Unternehmen werden selbstverständlich, wie bei Amerikanern, straffe Prozesse festgelegt.
Da diese Prozesse jedoch meist Top-Down angeordnet werden, mögen sie nicht immer eins zu eins umsetzbar sein.
Umsetzung der Entscheidungen in Frankreich
Dem Soziologen Albert O. Hirschmann zufolge, kann der Mensch theoretisch drei Einstellungen zu einer in der Gemeinschaft getroffenen Entscheidung einnehmen:
- Loyalty, d.h., Akzeptanz und treue Umsetzung;
- Voice, d.h., Widerstand;
- Exit, d.h., Kündigung, auch im Sinne einer inneren Kündigung.
Deutschland
Was in Deutschland sauber geplant wurde, wird auch einwandfrei durchgeführt, so dass später niemand „Schuld sein kann“.Man ist hier „regelorientiert“.
Diese „Planungsbessessenheit“ hat jedoch auch ihre Nachteile - zum Beispiel bei notwendigen Änderungen. Wenn der Plan umgeschmissen werden muss, ist die Hölle los.
Einmal geplant, wirft man das Konzept nicht mehr über Bord. Leichte Adaptationen werden geduldet, allerdings darf es keine größere Kursänderung mehr geben. Selbst wenn noch einiges verbessert werden könnte, muss man sich mit den getroffenen Entscheidungen abfinden.
Nichtsdestotrotz, sobald die Entscheidung getroffen wurde, ist „voice“ kein Thema mehr.
Es herrscht eine ausgeprägte „Loyalty“ auf allen Ebenen, und man hakt die Checkliste ab.
Davon kann man anderswo nur träumen.
Frankreich
Weiter oben wurde dargestellt, warum Franzosen relativ „regelwidrig“ sein können. Heißt dies, dass sie in jeder Situation vehement aufstehen und ihre Stimme („Voice“) erheben?
Widerworte in Meetings
In Meetings mit Individualisten, die sehr empathisch orientiert sind, darf keiner sein Gesicht verlieren. Daher empfiehlt es sich sehr, selbst wenn man nicht einverstanden ist, einem Kollegen und noch weniger einem Vorgesetzten nicht zu widersprechen.
„96 Prozent der englischen Top-Manager schätzen es, wenn ihre Entscheidungen kritisch hinterfragt werden. In Deutschland sind es noch 52 Prozent und in Frankreich nur 29 Prozent. 71 Prozent der französischen Manager würde es also nicht gefallen, wenn ihre Entscheidungen hinterfragt würden.“ (Quelle: Ergebnisse einer Umfrage des Beratungsunternehmens „DDI - Development Dimensions International“, in der 201 Top-Manager in Deutschland, Frankreich und Großbritannien befragt wurden).
Während des Meetings darf jeder Änderungsvorschläge machen (Proposer des amendements), denn es soll jeder, ganz im Sinne des amerikanischen Empowerment, aktiv am Meeting teilnehmen. Werden diese Änderungsvorschläge jedoch aus irgendwelchen Gründen abgelehnt, ist es nicht üblich, frontal „auf die Barrikaden zu gehen“.
Wenn jemandes „Stimme“ nicht gehört wurde, so ist nicht alles vergebens;
Umwerfen von Entscheidungen durch internes Lobbying
Der Entscheidungsträger wird im Nachhinein direkt unter vier Augen angesprochen, um sich Gehör zu verschaffen, und um die Entscheidung aufgrund zusätzlicher Argumente zu kippen.
Es werden ihm Vorschläge unterbreitet, in der Hoffnung, dass er sich diese aneignet und sie im nächsten Meeting berücksichtigt;
Umgehen der Entscheidungen
Sollten die ursprünglichen Entscheidungen bzw. Anweisungen unrealistisch sein und sich der Entscheidungsträger nicht änderungswillig zeigen, so läuft er Gefahr, dass die jeweilige Entscheidung bzw. Anweisung:
- ignoriert wird – ganz nach dem Motto „Gott hat gesprochen, laß ihn schwätzen”.
Dies nennt der französische Schriftsteller Michel Crozier „la Stratégie de l’Acteur“ („Die Strategie des Individualisten“);
- interpretiert, also umgangen wird.
Insbesondere auf operativer Ebene werden Entscheidungen interpretiert und kreativ umgangen. Es werden „Brücken“ gebaut: „Faire des ponts dans les procédures“ - was man manchmal sogar mit der Umschreibung „Le contournement fonctionnel“ („die funktionelle Umgehung“) bezeichnet. Das Umgehen von Regeln ist nicht selten.
Die "Prozessorientierung" der Deutschen wird in Frankreich als „Organisationsbesessenheit“ angesehen. «Les Allemands ont des procédures démentielles et si on veut que les Français puissent s’y retrouver, il faut faire des interfaces» - «Die Deuschen haben übertriebene Prozesse, Franzosen kommen nur damit zurecht, wenn sie sie umgehen».
Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass dies sogar die Erwartungshaltung des Managements ist.
Es wird von Mitarbeitern erwartet, dass Sie ihren gesunden Menschenverstand einsetzen und ihre Aufgabe nicht nur ohne ausführliche Dienstanweisungen erledigen, sondern auch ihre Intelligenz und ihr Geschick einsetzen und Prozessabläufe zu Gunsten des reibungslosen Ablaufs des Projektes interpretieren – „pour que ca baigne“ („so dass alles rund läuft“).
Das ist die „Tapavukyavéka-Methode“: „hastdunichtgesehendassmanhättetun-müssen-Methode“ - was bedeutet, „Du hättest von Dir aus agieren sollen“.
Wird festgestellt, dass ein Mitarbeiter nicht so gehandelt hat, so kann es ihm sogar nach dem Motto „tapavukyavéka…“ („hastdunichtgesehendassmansohätte-tunsollen“) vorgeworfen werden.
Der Soziologe Philipe d’Iribarne, spricht von der „Logik der Ehre“ – „Logique de l’honneur“, die die Mitarbeiter verpflichtet, das „System D“ (se débrouiller) anzuwenden. Das heißt, sich auch in unerwarteten Situationen zu helfen wissen und sein Improvisationsvermögen zur Findung von Lösungsansätze einzusetzen.
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