Kommunikation in Frankreich

Veröffentlicht am | Von Gilles UNTEREINER

 

Auszug aus der Veröffentlichung "Frankreich lohnt sich"  

Wie bereits im Kapitel Prozesse und Geschäftsabläufe - Umsetzung der Entscheidungen“ gesehen, ist Frankreich eher eine verbale Welt. Die Koordinierung der Aktionsstränge bedarf dementsprechend eines permanenten Austausches zwischen allen Beteiligten. Kommunikation On-line.

Deutschland

In einer sicherheitsorientierten Welt wie Deutschland muss das Management dafür sorgen, dass

  • ordentliche Prozesse - inklusive aller nötigen Checklisten, Formulare, Meilensteine usw. - definiert werden. Neben der Formalisierung herrscht eine sehr strikte Planung;
  • die Mitarbeiter für alle denkbaren Fälle die passenden Anweisungen erhalten haben (selbstverständlich schriftlich);
  • alle Mitarbeiter die Anweisungen und Prozesse verstanden haben.

In den USA wird das berühmte Werk der Prozeduren, das „Blue Book", ausgehändigt, das jeder lesen soll. Der kanadische Stratege Henry Mintzberg spricht von der „Standardisierung der Prozesse“.

In Deutschland reicht die Übergabe jedoch nicht aus. Die Mitarbeiter müssen zusätzlich geschult werden, und man muss sogar beweisen können, dass diese Schulung wirklich erfolgt und die Prozesse von den Mitarbeitern verstanden worden sind.

Diese permanente Weiterbildung nennt Mintzberg die „Standardisierung der Qualifikationen“.

Hier herrscht nach dem Konzept der „Bringschuld“ eine Informationspflicht seitens des Vorgesetzten.

In dieser prozessorientierten Welt ist der Arbeitsplatz der Menschen gesichert, wenn diese die Ihnen übertragenen Aufgaben „treu und brav“ ausführen. Dies ist ein echter Luxus im Vergleich zu anderen Ländern. Dementsprechend konzentriert sich jeder auf seine Zuständigkeiten und Kompetenzbereiche, das heißt auf seine „Aufgaben“. Jeder ist „aufgabenorientiert“.

Da alles sauber dokumentiert ist, braucht man im Alltag nur wenig mit seinen Kollegen zu kommunizieren. Man hört hier und da, dass Deutsche „redefaul“ seien.

Der Mensch spielt eine eher untergeordnete Rolle. Man könnte dies sogar als Art „Vernachlässigung der menschlichen Kontakte“ – in Einzelfällen bis hin zu echter „Abgrenzung“ – betrachten.

Als Konsequenz sind regelmäßige Meetings zur Ritualisierung der Kommunikation und der Koordination der Arbeit der einzelnen Experten unentbehrlich.

Frankreich 

Aufgrund mangelnder formaler Anweisungen muss sich jeder selbst vergewissern, dass er alle notwendigen Informationen hat, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Jeder Einzelne muss sich die nötigen Informationen beschaffen und sich auf dem Laufenden halten. „Aller à la pêche aux informations“ - hier gibt es keine „Bringschuld“ sondern eine „Holschuld“.

Daher entfalten Franzosen eine sehr intensive mündliche Informationsübermittlung, also hauptsächlich eine verbale Kommunikation. Sie müssen sich ständig mit anderen abstimmen und praktizieren ein kontinuierliches Feedback, die permanente Kommunikation. Im Internetzeitalter sollte man von „Communication en ligne“ („Online-kommunikation“) sprechen.

Jeder Kontakt ist Anlass zum Austausch. Auch der bereits genannte Austausch an der Kaffeemaschine. Dabei mögen sich die deutschen Kollegen durchaus wegen des vermeintlichen Zeitverlustes beklagen und sich fragen, wer die ganze Arbeit erledigt.

Ein weiterer Grund für diese intensive verbale Kommunikation: Die Mitarbeiter in Frankreich haben im Gegensatz zu denen in Deutschland kaum eine Garantie - weder bezüglich der Sicherheit ihrer Position noch hinsichtlich ihrer Aufstiegsmöglichkeiten. Ihre Stellenbeschreibung ist meistens sehr allgemein gehalten und sie können sich zur Sicherung ihres Arbeitsplatzes nicht an ihre Aufgabe „klammern“.

 Aus diesem Grund entwickeln Franzosen oft eine sehr intensive Vernetzungsstrategie, sie suchen ständig „Verbündete“ und halten permanenten Kontakt zu ihren Vorgesetzten, um ihre Akzeptanz im Unternehmen kontinuierlich überprüfen zu können und um mögliche Aufstiegschancen zu nutzen. Das heißt, immer wieder Netzwerke bilden – „work and network“.

All dies verstärkt die Menschenorientierung und das Empathiebedürfnis der Franzosen.

Der Franzose nutzt jede Gelegenheit, sich mit seinen Vorgesetzten über Abläufe zu verständigen und um gleichzeitig ihre Anerkennung zu überprüfen.

Ein Manager muss dementsprechend ständig verfügbar sein, seine Tür offen lassen, ständig auf seine Mitarbeiter zugehen („Managing by wandering around“), sogar seine Handynummer zur Verfügung stellen und bereit sein, auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten angerufen zu werden.

Einsetzen einer Vernetzungsstrategie

Der menschenoriente Franzose braucht viele Kontakte für eine bessere Kommunikation und einen echten Beziehungsaufbau. Dies gilt nicht nur für den Kontakt mit dem direkten Vorgesetzten, sondern allgemein mit dem leitenden Management sowie mit den Kollegen, mit „Equals“.

Es gilt zu vermeiden, die Kontakte auf wenige Personen im Unternehmen, wie zum Beispiel nur auf die, die Französisch sprechen, zu beschränken.

Es empfiehlt sich, für jeden Franzosen im Sinne des französischen "Parrainage“ („Patenschaft“) auch einen Paten in der Muttergesellschaft zu ernennen.

Ist diese Patenschaft auf allen Ebenen des Organigramms organisiert, müssen auch die zwischenmenschlichen Kontakte hergestellt werden. Das kann ganz einfach anhand verschiedener „geselliger“ Veranstaltungen, wie bspw. im Rahmen von Einweihungen, Jubiläumsfeiern, kultureller oder sportlicher Events organisiert werden.

Wenn man nicht vor Ort ist:

  • Telefonieren

    Jede Woche, egal ob mit oder ohne Grund.

     

    Man sollte ständig den Kontakt pflegen, auch wenn es nur darum geht, einen „Guten Tag“ zu wünschen und zu fragen, wie es geht, und wie es läuft. Wohl gemerkt, wenn ein Franzose selber „Ça va?“ fragt („wie geht's?“), erwartet er keine präzise Antwort. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Höflichkeitsformel.

    Dieses telefonische Kontakthalten hat sowohl einen psychologischen als auch einen fachlichen Aspekt.

    Der psychologische Aspekt besteht in der Anerkennung, die der Mitarbeiter durch das Telefonat erfährt. Es wird ihm gezeigt, dass er wahrgenommen wird und einen Anruf wert ist.

    Der fachliche Aspekt besteht darin, sich regelmäßig über die Entwicklung laufender Projekte auszutauschen – „faire le point“.

    Wenn der Mitarbeiter mit seinem Vorgesetzten in Kontakt ist, ist es nicht nur seine Pflicht, auf die ihm gestellten Fragen zu antworten, sondern auch über alle aktuellen Themen und Probleme („Actualités et problèmes“) zu berichten.

    Erst wenn sich eine „Kommunikationsgelegenheit“ anbietet, entsteht die Informationspflicht seitens des Mitarbeiters – nach dem Motto: „Wenn ich nicht gefragt werde, kann ich auch nicht antworten";

  • Besuchen


    In dieser kontaktfreudigen Welt ist es – neben dem Telefonieren - auch empfehlenswert, die Mitarbeiter regelmäßig aufzusuchen, um in einem Face-to-Face-Gespräch die mündlichen Äußerungen anhand nonverbaler Zeichen zu überprüfen.

    Nach Möglichkeit sollte auch das „Kontaktritual“ des Essens genutzt werden, um sich neutral und locker austauschen zu können. Gegebenenfalls sollte man sogar dort übernachten, um die Gelegenheit zu einem gemeinsamen Abendessen nutzen zu können.

Bearbeitung von Anfragen in Frankreich

In Frankreich ist es üblich, schon bei der Entstehung einer Überlegung Dritte um einen konzeptionellen Beitrag zu bitten. Man will sich vorsorglich mit den anderen abstimmen. Man formuliert eine Idee (ein „concept à la francaise“), die nicht bis ins Detail durchdacht ist und fragt den Anderen nach seiner Meinung - „Que pensez vous de – j’aimerais votre avis.“.

Die Anfrage kommt meistens verbal „au fil de l’eau“ – im Laufe des Gesprächs, gegebenenfalls sogar am Telefon.

Das ist aber keine Taktik, mit der eine Entscheidung ertrickst werden soll. Es geht dabei vielmehr darum, den anderen an der Idee zu beteiligen und dessen Anregungen zu erhalten. Dabei besteht jedoch die Gefahr, dass nur partielle Informationen übergeben werden, eine schnelle Antwort kassiert wird, und man letztlich darauf festgenagelt wird.

Anfragen entstehen meistens aus Anforderungen des Marktes. Es ist nicht anzuraten, sie abzuweisen, weil sie nicht klar genug formuliert sind.

Eine optimale Behandlung jeder Frage wäre:

  • Sich aktiv am Brainstorming beteiligen und im Falle von Unklarheiten den Ansprechpartner um ausführliche Informationen bitten. Fragen stellen, um den Hintergrund und die Ausgereiftheit der Anfrage zu ermitteln:
    • Sachverhalt – Circonstances;
    • Feststellung – Constats;
    • Empfehlung –

Handelt es sich um eine wichtige Angelegenheit, sollte man sich dies nach Möglichkeit schriftlich dokumentieren lassen und anrufen, um mögliche Unklarheiten auszuräumen.

Ein derartiger Austausch sollte letztendlich folgendermaßen strukturiert werden:

  • a) Call – er ruft an;
  • b) Mail - er formuliert seine Anregungen und Wünsche;
  • c) Call - um mögliche Unklarheiten auszuräumen;
  • Antwort: Wenn es sich um eine einfache Angelegenheit handelt, genügt in der Regel eine mündliche Absprache.

Handelt es sich um eine wichtige Angelegenheit, sollte die Stellungnahme schriftlich erfolgen.

Bei einer Anfrage außerhalb des eigenen Verantwortungsbereiches hat der Franzose die implizite Erwartung, beim Finden des zuständigen Ansprechpartners unterstützt zu werden.

Dabei sollte man:

  • nie auf die Zentrale verweisen;
  • wenn möglich nicht nur den Ansprechpartner nennen, sondern direkt an diesen durchstellen;
  • unter Umständen eine Dreierkonferenz organisieren.

Für die Person heißt das im übertragenen Sinne soviel wie „Ich stelle Sie vor und bürge für Sie!“.

Formulierung von Anfragen in Frankreich

Inhalt der Anweisungen/ Anfragen

Individualisten legen großen Wert auf ihre Autonomie, und in ihrer zentralisierten Welt werden Dienstanweisungen oft interpretiert beziehungsweise umgangen.

Bei der Erteilung von reinen Anweisungen läuft man Gefahr, dass sie noch systematischer umgangen werden. Daher ist es "empfohlen, zu empfehlen" - „Que pensez vous de???“.

Damit eine Botschaft ankommt und Gehör findet, sollte man diplomatisch vorgehen.

Der schriftliche Austausch ist zwar zur Vermeidung von Missverständnissen wichig, allerdings genügt eine reine schriftliche Mitteilung nicht, um den Gegenüber zur Antwort zu motivieren.

Während man in Deutschland alles sequentiell abarbeitet, erledigen die Franzosen ihre Aufgaben in Abhängigkeit der subjektiv empfundenen Dringlichkeit – den „Urgences“.

Prioritäten:

1. Der wichtigste Besucher
2. Der wichtigste Anrufer
3. Der weniger wichtige Besucher
4. Der weniger wichtige Anrufer
5. Die anonyme Korrespondenz - dazu zählen auch Emails

Franzosen fühlen sich durch eine schriftliche Anfrage nicht zum Antworten verpflichtet. Daher reichen Emails nicht aus, auch nicht solche mit der Bitte um umgehende Antwort!

Erwartet man eine Antwort, sollte man wieder die Call-Mail-Call Technik einsetzen:

Call 1:

Im Voraus anrufen, um sicherzustellen, dass die Anfrage in Betracht gezogen wird, um:

  • die Bearbeitung der Anfrage zu beschleunigen, und um in der Dringlichkeitskala „upgegraded“ zu werden;
  • die Akzeptanz der Anfrage zu überprüfen.

Da Franzosen Konflikte vermeiden wollen, wird eine Angelegenheit, in der man Konfliktpotential sieht „vertagt“, bis dass der andere sich noch einmal meldet – „laisser mûrir la situation“ - die Angelegenheit ruhen lassen bzw. auf unbestimmte Zeit verlegen „remettre aux Calendes Grecques“.

Falls also die eigene „Angelegenheit” tatsächlich Konflikte mit sich bringen könnte, sollte man diese im Vorfeld entschärfen, so dass die Anfrage nicht sofort begraben wird.

Es geht im Prinzip darum, auf deduktive Art, das heißt vom Globalen zum Einzelnen zu argumentieren:

  • Wir haben hier einen bestimmten Fall – den Sachverhalt – Circonstances;
  • der uns folgendes Problem verursacht – die Feststellung – Constats;
  • und den wir auf folgende Art lösen möchten – die Empfehlung – Recommandations (implizit: „Was halten sie davon“?).

Hier geht es um die Überprüfung, wie man ein Thema formulieren sollte, so dass es positiv ankommt und der Andere kein Problem damit hat. Gegebenenfalls hat er dazu sogar schon eine Meinung.

Hier heißt es, Aufmerksamkeit wecken und die Stimmung abtasten – gerne auch Floskeln benutzen, sowohl am Anfang als auch am Ende des Gesprächs.

Daher sollte man nicht sofort mit sachlichen Aspekten beginnen oder zu abrupt abschließen.

Mail:

Das Schriftliche dient letztendlich nur zur Bestätigung der mündlichen Absprache inklusive der vereinbarten Frist für die Rückantwort.

Bei normalen Angelegenheiten sollte das reichen. Der Ansprechpartner fühlt sich jetzt zu einer Antwort verpflichtet.

In den Emails sollte man ein Minimum an Begrüßungsformeln in französischer Sprache einbauen.

Call 2:

Ist die Angelegenheit sehr dringend, sollte man nach der Versendung der schriftlichen Anfrage sofort dafür sorgen, dass die Angelegenheit behandelt wird, indem man nochmals anruft.„Haben Sie mein Schreiben erhalten?“, was implizit bedeutet, ob es verstanden wurde und ob alles klar ist. „Bleibt alles wie bereits besprochen? Oder haben Sie noch andere Vorschläge bzw. Anregungen?“.
„Wann können wir ungefähr mit einer Rückmeldung rechnen?“ 

Jetzt ist die Verpflichtung bei dem Ansprechpartner auf höchster Dringlichkeitsstufe.

Um sicherzustellen, dass man oben auf dem Stapel liegt, sollte man ständig Nachfassen, ständig die Angelegenheit in Erinnerung rufen - ständig mit der so genannten „piqûre de rappel“, der Erinnerungsspritze nachhaken!
Ständig auf Französisch will heißen jeden Tag. Dranbleiben ist oberstes Gebot!

Sollte die Angelegenheit doch nicht rechtzeitig bearbeitet werden, sollte trotzdem das Stellen eines Ultimatums vermieden werden – denn das würde als Beleidigung gelten. Außerdem gäbe dies Anlass dazu, die Angelegenheit wieder als „problematisch“ einzustufen und somit wieder zu vertagen.

Im ersten Schritt sollte man nicht mehrere Ansprechpartner gleichzeitig ansprechen, sondern nur den Betroffenen: „Wo hapert es? Brauchen sie mehr Informationen? War etwas nicht klar? Aus welchem Grund konnten Sie bisher noch keine Rückmeldung geben?“
Dabei sollte man stets taktisch vorgehen. Der Angesprochene darf sein Gesicht nicht verlieren.
Wenn er es nicht schafft, weil er zu beschäftigt ist, sollte man ihn zwar schonen, aber – in Abstimmung mit ihm - strategischen Druck auf seine eigene Hierarchie aufbauen.

Im nächsten Schritt sollte man seinen eigenen direkten Vorgesetzten anrufen lassen.

Als letzter Schritt, wenn alles andere nichts genutzt hat, bleibt nur noch eine schriftliche Mitteilung an alle Betroffenen, einschließlich der Geschäftsleitung.

 

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