Integration eines französischen Unternehmens

Veröffentlicht am | Von Gilles UNTEREINER

Auszug aus der Veröffentlichung "Frankreich lohnt sich"  

 

Die Unsicherheit bezüglich neuer Rollen- und Aufgabenverteilungen verursacht meistens persönliche Dramen. Es finden viele strukturelle Veränderungen statt, Bereiche und Positionen werden neu definiert, wobei sich jeder Einzelne neu behaupten muss. Manche Abteilungen müssen sogar um ihren Fortbestand kämpfen.

Als Konsequenz konzentrieren sich viele Mitarbeiter so sehr auf die internen Umstrukturierungen, dass laufende Projekte, Ergebnisse sowie die Kundenbeziehungen darunter leiden.

Solange das Umfeld nicht stabilisiert, das Organigramm nicht neu aufgestellt und die Ordnung nicht zurückgekehrt ist, ist die Mehrzahl der Mitarbeiter gehemmt und nicht leistungsfähig.

Oft fehlen Managementressourcen bei dem akquirierenden Unternehmen („Management capacity of acquiring company is too thin”), was ein Grund dafür ist, kein allzu großes Unternehmen übernehmen zu wollen.

Die Folgen können ein allgemeiner Leistungsabfall sein sowie dass Schlüsselpersonen, die anfangs begeistert waren, allmählich demotiviert werden und an Vertrauen verlieren („Executives loose their trust!“).

Schlechtes „Postmerger-Management“ kann auch eine Ursache für das Scheitern einer Übernahme sein.

Oft wird die Integration vernachlässigt.

Gerade hierbei lassen sich deutsche Unternehmen oftmals zu viel Zeit.

Eine erfolgreiche Integration hängt auch von der Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen ab, das heißt unter anderem von dem Vertrauen, das man zueinander aufbauen konnte. Das „Winner-Verhalten“ seitens der Mitarbeiter des erwerbenden Unternehmens muss unbedingt vermieden werden. Im Gegensatz dazu müssen die Kontakte zwischen den Menschen gefördert werden.

Die Mitarbeiterbindung hat Priorität. Es empfiehlt sich, so schnell wie möglich ein funktionales Organigramm zu erstellen.

Entscheidende Erfolgsfaktoren bei einer Unternehemensintegration:

  • schnelles Treffen der Entscheidungen bezüglich Struktur und Schlüssel-personen;
  • Definition einer klaren Strategie und klarer Ziele;
  • Nennung eines Integrationsmanagers;
  • Projektorganisation bilden und Teambuilding vorsehen;
  • Umsetzung einer transparenten und intensiven Kommunikationspolitik (Einzelgespräche, Workshops, Rundmails, Foren usw.);
  • Teambildung über die Organisationsgrenzen hinaus;
  • Erzeugung von Quick Wins – frühzeitige Erfolge, um allen zu beweisen, dass das Zusammenkommen sinnvoll ist.

Die Synergien müssen bewiesen, aber auch mittels einer intensiven Kommunikation bekannt gemacht werden.

Die Integrationsstrategie 

Integrationsoptionen

Bei einer Integration gibt es zahlreiche Optionen:

  • Dem übernommenen Unternehmen kann seine strategische Autonomie gelassen werden. Dies bedeutet: Jeder führt seine bisherige Vorgehensweise auf unbestimmte Zeit fort. Dies ist jedoch nur selten der Fall, da es sich in den meisten Fällen nicht um eine rein finanzielle Übernahme, sondern vielmehr um eine strategische Übernahme handelt. Dabei werden Synergieeffekte auf kaufmännischer Ebene erwartet;
  • Unternehmenskultur und Organisationsprozesse des neuen Mutterunternehmens werden dem gekauften Unternehmen aufgezwungen. Die Versuchung, „den anderen verändern zu wollen”, ist immer sehr groß.
    Ein Investor, insbesondere wenn er durch eine starke Unternehmenskultur geprägt ist, wird dazu tendieren, seine neue Tochtergesellschaft eher an die Muttergesellschaft anzugliedern, statt sie als „Stand-alone-Lösung“ weiterzuführen. Er wird seine eigenen Organisationsstrukturen, die internen Prozesse, die Werte sowie die Unternehmenskultur auf das andere Unternehmen übertragen wollen.
    Dies ist ganz besonders beim angelsächsischen Modell der Fall, indem es deutlich heißt “let know that there is a new sheriff in town”.

    Bei Individualisten wie den Franzosen ist solch ein Verhalten sehr riskant und verursacht die größten Wiederstände und Energieverluste.

    Besonders bei der Übernahme von kleinen Unternehmen in individualistischen Sphären ist zu beachten, dass bürokratische Prozesse eines großen Unternehmens für talentierte Führungskräfte aus kleineren Unternehmen ziemlich abschreckend sein können. Vor diesem Hintergrund ist es ratsam, das neu übernommene Team nicht mit zeitaufwändigen Informationsanforderungen zu überrollen, sondern die Nachfrage auf das notwendige Minimum zu beschränken;
  • Die „Positive Integration“

    Man sollte bei einer Integration Synergien im Konsens suchen und diese nutzen, es sei denn die finanzielle Lage des übernommenen Unternehmens ist höchst brisant.

    Die positive Integration hat zwei Ziele:
    • Gewährleistung verschiedener Freiräume dem übernommenen Unternehmen gegenüber (insbesonders hinsichtlich der Bestimmung des Angebotes und dem Umgang mit der Kundschaft);
    • Zuweisung von spezifischen Kompetenzen.

Integrationsprioritäten

Für den Erfolg einer Integration ist es von großer Bedeutung, sie mit der angemessenen Geschwindigkeit umzusetzen. Der Versuch, alles vom ersten Moment an zu ändern (angelsächsische Methode), hat meist eher negative Auswirkungen und kann im Chaos enden. Daher ist eher ein bedachtes Vorgehen ratsam.

Bevor mit Integrationsmaßnahmen begonnen wird, muss auf Management-ebene die Prioritätenliste festgelegt werden.
Aufgrund der Vielzahl der einzelnen Abteilungen und Bereiche eines Unternehmens können und dürfen nicht die gleichen Methoden in der gleichen Geschwindigkeit angewendet werden.

Empfohlene Priorisierung:

  • In wenig „sensiblen“ Bereichen (mit wenig Einfluss auf Machtstrukturen und Mitarbeiterentwicklung) wie bspw. Einkauf oder Vertrieb kann man strategische Entscheidungen (z.B. die Einführung neuer Produktlinien zum Cross selling) relativ schnell umsetzen.
    Eine Übernahme muss von Anfang an sehr eng begleitet werden, um kurzfristige Vorteile, so genannte „Quick wins“ zu generieren, die beweisen, dass die Übernahme sinnvoll ist.
    Hier (Einkauf, Vertrieb) können solche Quick Wins schnell erzeugt werden;
  • In sensiblen Bereichen (mit grossem Einfluss auf Machtstrukturen, Prozesse und Mitarbeiterentwicklung) wie bspw. F&E, Produktion, Logistik, IT sowie auch auf Managementebene muss wesentlich vorsichtiger vorgegangen werden.
    Hier sollte man keine Synergien erzwingen wollen. Änderungen sollten erst dann eingeführt werden, wenn man sich sicher ist, dass diese von den Mitarbeitern akzeptiert werden.
    Der ideale Weg ist hierfür die Ermittlung von Synergien durch ein gegenseitiges Benchmarking zur Identifizierung der best practices beider Parteien. Letztendlich sollten die jeweils besten Methoden von beiden Seiten genutzt werden („the best of both“);
  • In hoch sensiblen Bereichen wie dem Personalmanagement, das aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes in Deutschland und in Frankreich jeweils komplett anders ist, sollte man innerhalb der ersten zwölf Monate keine Veränderungen vornehmen. Eine Ausnahme stellt immer die Krisensituation dar.

Die integrationstaktik 

Organigramm

Das Festlegen der Entscheidungsträger sowie das Neudefinieren der Aufgaben-bereiche müssen schnellstmöglich geschehen.

Dabei sollte der künftige Geschäftsführer möglichst vor dem Closing ernannt werden, da für Franzosen aufgrund ihrer zentralistischen Gewohnheiten die unverzügliche Berufung eines Entscheiders (des „Décideur“) notwendig ist.

Eine entscheidende Frage, die sich im Zuge einer Übernahme stellt, lautet: Bleibt der vorhandene Vorstand bzw. die Geschäftsführung? Dabei gibt es keinen Königsweg. Es hängt jeweils von der Persönlichkeit der Betroffenen ab.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass es besonders für die französischen „Patrons“ des Mittelstandes nicht üblich ist, zu delegieren und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. So können schnell Konflikte entstehen.
Idealerweise sollte man sich die Mitarbeit des ehemaligen Geschäftsführers in Form eines externen Beratervertrages sichern.

Hierbei geht es um die Konsolidierung der beiden Unternehmensstrategien sowie um den Transfer strategischer Ressourcen.

Benennung des Integrationsmanagers

Die Integration der akquirierten Unternehmensbereiche ist ein kontinuierlicher Prozess. Diese schwierige Mission sollte man einem Manager anvertrauen, der sich ausschließlich und mit vollem Einsatz dieser Tätigkeit widmet. Um dies zu erleichtern, sollte man ihm einen großen Handlungsspielraum gewähren.

Manager des übernommenen Unternehmens, wenn auch motiviert, kennen die Strukturen und internen Gepflogenheiten und Machtverhältnisse des Erwerbers nicht genug, um von dessen Führungskräften akzeptiert zu werden. Somit muss es zwangsläufig ein Manager des übernehmenden Unternehmens sein.

Er hat die Aufgabe des Bindeglieds sowie des Mediators zwischen erworbenem Unternehmen und Muttergesellschaft. Dabei wird er die Belegschaft der neuen Tochtergesellschaft schützen und den Mitarbeitern der Muttergesellschaft erklären müssen, dass Organisationspraktiken, die in Deutschland gut funktionieren, woanders nicht unbedingt eins zu eins erfolgreich umgesetzt werden können. Letztlich gehört es auch zu seinen Aufgaben, sich gegen den Ethnozentrismus („Selbstbezogenheit einer Gruppe“) der „Seinen“ zu stellen.

Er sollte nicht selber operativ tätig werden, um keine Gefahr für seine neuen Mitarbeiter darzustellen.

Bildung des Integrationsteams

Für jeden Bereich sollte ein verantwortliches Integrationsteam gegründet werden, in dem Mitarbeiter der gleichen Funktion bzw. Ebene beider Unternehmen vertreten sind.

Spezialisten, Abteilungsleiter und Manager des übernommenen Unternehmens müssen durch Kollegen der Muttergesellschaft mit ähnlicher Funktion betreut werden. Es empfiehlt sich die Organisation echter Patenschaften.
Im Rahmen dieses Ansatzes wird jedem Mitarbeiter der Tochtergesellschaft ein persönlicher, gleichrangiger Ansprechpartner der Muttergesellschaft zugewiesen. Aufgaben der Paten ist es, die neuen Kollegen in die Strukturen und Prozesse der Muttergesellschaft einzuführen und ihnen tagtäglich mit Rat zur Verfügung zu stehen.

Dies hat zum Ziel, dass die Mitarbeiter nicht nur auf operativer Ebene zusammenkommen, sondern auch durch persönliches Kennenlernen kulturelle Unterschiede überwinden.

Dazu bedarf es der Organisation verschiedener Maßnahmen:

  • Führungskräftetreffen zum Kennenlernen und zur Netzwerkbildung;
  • Betriebsbesichtigungen, gemeinsame Veranstaltungen, usw.

Methodologie des Integrationsteams eines französischen Unternehmens


Die Stärken und best practices beider Unternehmen müssen identifiziert und anschließend kombiniert werden, um möglichst viele Synergieeffekte zu generieren. Es handelt sich hier um einen Bottom-Up-Prozess. 

Dafür wird jedes Integrationsteam ein „Discovery Programm“, ein straffes gegenseitiges „Entdeckungsprogramm“ im Sinne eines Benchmark, ausarbeiten.

Jede Partei wird ihre eigenen Methoden, Prozesse, Arbeitsmittel, sowohl im Rahmen von Vorträgen als auch im Rahmen von Firmenbesuchen, Seminaren und Workshops, vorstellen. Selbstverständlich geht hier das übernehmende Unternehmen voraus, um bei dem übernommenen Unternehmen Hemmungen abzubauen.

Ist diese „Kennenlern- bzw. Analysephase“ abgeschlossen, sollten dem Vorstand die Ergebnisse im Plenum präsentiert werden. Ziel ist, dass alle Mitarbeiter erkennen, dass beide Unternehmen positive Anregungen und Prozesse mitbringen, und dass es von Vorteil ist, diese zu kombinieren und somit manche Praktiken der jeweils anderen Partei zu übernehmen.

Die „Liebe zum Detail“ der Deutschen sollte man hier etwas eindämmen, weil man in dieser Situation keine Zeit für übertriebenen Perfektionismus hat. Die 80-Prozent-Lösung von heute ist der 100-Prozent-Lösung von morgen vorzuziehen.

Anschließend sollten die Integrationsteams einheitliche Ziele, Prozesse und Methoden definieren.
Sollte dies beim ersten Anlauf nicht sofort gelingen, empfiehlt es sich, die Entscheidungen zu vertagen, und das Thema erst später wieder aufzugreifen.

Nur im äußersten Fall des Scheiterns dieses „Koordinationssystems“ sollte das Management Entscheidungen forcieren.

Umgang mit dem Widerstand von Mitarbeitern


Ablehnendes Verhalten seitens der Mitarbeiter muß ernst genommen und mit Nachdruck angegangen werden.

Zeigen sich einzelne Mitarbeiter trotz vielfacher Integrationsbemühungen nicht loyal, so ist es durchaus legitim, eine Kündigung in Betracht zu ziehen.

Die in Japan weit verbreitete „Neutralisierungsmethode“, auch „window seat“ bzw. in Frankreich „être mis au placard“ genannt, sollte jedoch unter keinen Umständen angewandt werden, da sich Individualisten nicht „neutralisieren“ lassen und trotz aller Bemühungen weiterhin negative Stimmung im Unternehmen verbreiten würden.

 

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