Auszug aus der Veröffentlichung "Frankreich lohnt sich"
Hier kommen viele interkulturelle Unterschiede zum Tragen. Einweisung, Schulung, Vertriebssteuerung usw. laufen ganz anders ab als in Deutschland.
Ein Außendienstmitarbeiter wird sich meistens erst nach 2 bis 3 Jahren selbst tragen und muss dementsprechend ordentlich, d.h. nach lokalen Gepfllogenheiten, eingewiesen und betreut werden, ansonsten geht man die Gefahr dass der neue Mitarbeiter sehr schnell kündigt.
Organigramm und Aufgabendefinition
Deutschland
In Deutschland ist es üblich, dass Arbeitsverträge eine sehr genaue Stellen-beschreibung enthalten, die dem Mitarbeiter einen eindeutigen Kompetenzbereich und Aufgaben zuteilen.
Das Organigramm ist meistens sehr explizit und jeder Mitarbeiter hat seinen direkten Vorgesetzten.
Dank einer genau definierten Aufgabe in Verbindung mit einem eindeutigen Organigramm weiß der Arbeitnehmer genau, was von ihm erwartet wird. So können nur wenige Fehler unterlaufen. Jedem Mitarbeiter ist bewusst, was zu tun ist, damit die Vorgesetzten zufrieden sind und man sich im Laufe der Zeit innerhalb des Unternehmens weiterentwickeln kann.
Da der Karriereplan jedes Mitarbeiters von der Erfüllung seiner Aufgaben abhängt, entwickelt dieser zwangsläufig sachorientierte Tendenzen, weshalb man in Deutschland von der berühmten Sachorientierung spricht.
In Deutschland ist das Vertrauen sachbezogen.
Frankreich
In individualistischen Welten wie Frankreich herrschen andere Prinzipien.
Das Individuum möchte viele Freiheiten und Spielräume, weshalb es ihm leicht fällt, mit ungenauen oder allgemein gehaltenen Stellenbeschreibungen und Organigrammen umzugehen.
Das Unternehmen braucht die gleichen Spielräume wie seine Mitarbeiter, d. h., im Bedarfsfall müssen die Mitarbeiter flexibel genug sein, um auch anderweitig, außerhalb ihres regulären Tätigkeitsbereichs, einsetzbar zu sein.
Präzise Organigramme werden nur in wenigen Fällen erstellt und die genaue Einordnung in die Hierarchie ist nicht zwingendermaßen klar definiert.
Die Stellenbeschreibung ist oft nur knapp formuliert und jeder definiert im Laufe der Zeit seinen Aufgabenbereich selbst. Dabei gilt das Motto der „Auberge Espagnole“ (in der spanischen Gaststätte, in diesem Fall im Unternehmen, findet man, was man mitbringt).
Dies gilt selbstverständlich hauptsächlich für Führungskräfte und Außendienstmitarbeiter.
So stimmen die Aktivitäten eines Mitarbeiters womöglich irgendwann weder mit der ursprünglichen Stellenbeschreibung überein, noch passen sie zum Organigramm.
Das resultiert daraus, dass die Mitarbeiter keine genau definierte Aufgabe und dementsprechend auch keine Sicherheit durch die Erfüllung ihrer Aufgabe haben. Zur Sicherung der Stellung und Akzeptanz im Unternehmen versucht man durch „Networking“ Solidarität zu gewinnen.
Die Netzwerke der Individualisten können ganz verschiedener Art sein: die Familie, die Schule (Hochschulabsolventen bilden meistens einen Verein) oder später das berufliche Umfeld.
In diesen Netzwerken werden keine Prozesse normiert, sondern Verhaltenskodexe definiert, an die sich jeder Einzelne halten muss. Bricht man die Regel, so wird man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Solidarität im Rahmen dieses Kreises ist eine klare Verpflichtung.
Wichtig ist, wen man kennt. Dies verstärkt die „Personenorientierung“. Das heißt Sachorientierung und Direktheit müssen vermieden werden.
Um dieser Netzwerkstrategie entgegenzukommen und die Mitarbeiter zu binden, sollte dem französischen Mitarbeiter Zugang zu vielen Kollegen erlaubt und organisiert werden und nicht nur zu dem direkten Vorgesetzten.
Matrix-Organigramme, nach dem Motto „beaucoup de chefs égal pas de chef“ („mehrere Vorgesetzte sind keine Vorgesetzte“), was heißen will, dass die Autorität „vermischt“ statt sauber aufgeteilt wird, sind sehr beliebt.
Vertriebssteuerung
Deutschland
In deutschen Hochschulen werden im Vergleich zu Frankreich wesentlich weniger Außendienstmitarbeiter ausgebildet. Die Außendiensttätigkeit wird auch nicht als Tätigkeit angesehen, die ein Hochschuldiplom erfordert.
Generell ist zu beobachten, dass man intern beginnt, das heißt im Innendienst, und man später in den Außendienst wechselt. Dies entwickelt sich aus dem Durchlaufen verschiedener Schritte:
- Der erste Schritt ist der Support eines anderen Außendienstmitarbeiters oder eines Projektleiters;
- Im zweiten Schritt werden kleine Kunden zugewiesen;
- Der dritte Schritt besteht in der Übernahme von Key Accounts.
Vertrieb lernt man im Feld - „on the spot“!
Da die deutschen Außendienstmitarbeiter deswegen meist nur über geringe Marketingkenntnisse verfügen, muss sich das Unternehmen – zumindest zunächst -selbst um das Generieren von Leads und um die Herstellung von Kontakten bemühen. Somit muss in Deutschland viel in Marketing, Werbung und Messeauftritte investiert werden.
Frankreich
In Frankreich dagegen werden die Außendienstmitarbeiter ganz gezielt auf Kaltakquise trainiert, nach dem Motto „wenn man nicht zur Tür hineinkommt, dann eben durchs Fenster“.
Vorteil: Daraus entstehen echte Jäger, die relativ aggressiv auf ihre Verhandlungs-partner zugehen.
Nachteil: Ihr Verkaufsverhalten orientiert sich stark an Kundenwünschen, wodurch die Margenerwartungen der Unternehmen nicht aggressiv genug vertreten werden.
Dieses kundenorientierte Verkaufen entspricht zwar den Erwartungen der französischen Zielunternehmen, kann aber zur Folge haben, dass die Außendienstmitarbeiter zu sehr auf Individuallösungen eingehen, die jedoch möglicherweise schwer oder auch gar nicht umsetzbar sind und bei der Preiskalkulation, bei der Projektarbeit usw. einen hohen Zeitaufwand verursachen.
Die Akquise muss dementsprechend kanalisiert werden.
Blinder Aktivismus muss vermieden werden, indem man die Außendienstler steuert.
Da Individualisten allerdings ihren Freiraum brauchen, ist ein „softes“ Vorgehen bei der Vertriebssteuerung empfehlenswert. Andernfalls läuft man Gefahr, dass Dienstanweisungen umgegangen werden.
Für die Steuerung gibt es mehrere Mittel.
Schulung
In Deutschland ist meistens die Schulung meistens ein fester Bestandteil der Einarbeitung.
Polyvalenten glauben, sie kämen mit allem zurecht und könnten sich später immer noch mit Details auseinandersetzen.
Französische Unternehmen investieren nicht so viel in Schulungen wie es in Deutschland der Fall ist, und die Außendienstmitarbeiter selber gehen davon aus, dass sie im Vorfeld keine „absolute“ technische Schulung brauchen. Sie sind davon überzeugt, dass sie alles Notwendige „on the spot“ lernen – ganz nach dem Motto „learning by doing“.
Unvorgesehenem begegnet man mit der Einstellung „on se débrouillera“ („wir werden schon damit klarkommen“). Dies entspricht wieder dem berühmten „Système D“ - D wie „se débrouiller“, was man in Deutschland gerne „GKK System“ – gucken-wie-man-klar-kommt-System“ nennt. Das unterscheidet die Franzosen sehr von den Deutschen, die für alles immer ein Schema brauchen.
Selbstverständlich sollte man - insbesondere dann, wenn es sich um technische Produkte handelt - auf diese Schulung bestehen.
Man sollte den Mitarbeitern die eigentlichen Kompetenzen des Unternehmens ganz klar bewusst machen, so dass sie während der Verhandlungen und des daraus resultierenden „vertrieblichen Brainstormings“ nicht die Realität aus den Augen verlieren und vollkommen von den aktuellen Kapazitäten des Unternehmens abweichen.
Eine Schulung muss unter zwei Gesichtspunkten durchgeführt werden:
- „Positive Orientierung“: eine klassische Produktschulung im Sinne der Möglichkeiten und USPs der Produkte;
- „Negative Orientierung“: eine Schulung im Sinne des Aufzeigens von Grenzen hinsichtlich der Fertigungskapazitäten des Unternehmens; das heißt die Außendienstler müssen dazu angehalten werden, sich an den SWAN-Grundsatz (sell what’s available now) zu halten und sich nicht ständig mit irrelevanten Anfragen zu beschäftigen.
Während der Schulung sollten nicht nur technische, sondern auch interkulturelle und vertriebliche Themen mit einbezogen werden.
Die Erstere, um den Mitarbeitern die ganze Breite der Unterschiede im Bereich der Kommunikation bewusst zu machen, Letztere, um sie hinsichtlich der Unterschiede in der Vertriebsmethodik zwischen Frankreich und Deutschland zu sensibilisieren und auch, um anzufangen, den Ablauf des normalen Vertriebsalltags, der Verhandlungen, des Projektcontrollings sowie des Reportings zu normieren. Es empfiehlt sich, die Schulungen in mehreren Etappen anzubieten, um den neuen Mitarbeiter nicht zu entmutigen, und um ihn innerhalb der Probezeit am Markt zu testen.
Industriemarketing mittels Business Cases
In Frankreich ist der Vertrieb „kundenorientiert“ und nicht „produktorientiert“. Das heißt, Verkaufsverhandlungen sollten nicht mit der Vorstellung des Unternehmens, der Produkte und Alleinstellungsmerkmale begonnen werden, sondern mit einer „Kennenlernphase“ und einer intensiven Befragung.
Aus diesem Grund werden französische Außendienstler geschult, „offen“ und bedarfsorientiert auf den Kunden zuzugehen. Das Ziel ist es, durch geschickte Fragestellung mittels offener Fragen bei den Kunden eine detaillierte Bedarfs- und Motivationsanalyse durchzuführen.
Die oft aus dieser intuitiven Methode resultierende Verzettelung sollte vermieden und die Außendienstler auf strategische Key Accounts gelenkt werden.
Dafür sollten dem Außendienstmitarbeiter verschiedene Mittel, Ziele und Anreize zur Verfügung gestellt werden:
Kanalisierung der üblichen französischen Verkaufstechnik
In Frankreich sind Befragungen oder Bedarfsanalysen zwar Pflicht, wenn es um den Aufbau von Vertrauen geht, allerdings muss das Verkaufsgespräch dann auch stärker kanalisiert werden.
Offene Fragen sind unentbehrlich, lösen aber möglicherweise ein unrealistisches Brainstorming aus, das zeitnah zum SWAN-Grundsatz („Sell what’s available now“) zurückgelenkt werden muss. Hier ist ein Katalog mit vorgefertigten, geschlossenen Fragen auszuarbeiten.
Die Ausarbeitung dieses Katalogs liegt nicht nur in der Verantwortung des einzelnen Vertriebsmitarbeiters, sondern auch bei der Vertriebsleitung.
Coaching
Besonders bei einer Neueinstellung sollte man die Außendienstmitarbeiter in Form einer intensiven Vor-Ort-Unterstützung zu den Kunden begleiten.
Dabei geht es nicht darum, zu zeigen, „wie es geht“. Denn - wie bereits bekannt - sind französische und deutsche Verkaufstechniken sehr unterschiedlich.
Grundsätzlich sollte er auf seine übliche Art die zwei ersten Etappen des Verkaufsgesprächs führen:
- die erste Phase des persönlichen Kennenlernens;
- die zweite Phase der Bedarfs- und Motivationsanalyse, also der Befragung.
Danach sollte allerdings eingegriffen werden. Nicht, um das Gespräch selber zu führen, sondern um zu überprüfen, ob der Mitarbeiter bei der Befragung konsequent ist und tatsächlich sofort nach den „offenen Fragen“ auch die vorgesehenen „geschlossenen Fragen“ stellt, um den Kunden zum „Swan“ zu lenken.
In der Argumentationsphase gilt es herauszufinden, ob er die Alleinstellungs-merkmale deutlich genug herausstellt und wie er auf Gegenargumente eingeht. Lässt er sich dadurch beeindrucken? Widerspricht er direkt? Oder nutzt er die Rhetorik, das heißt die „Sammlung der Ja“, so wie es eigentlich sein sollte? Für den Fall, dass es technische Fragen gibt, steht man ihm hilfreich zur Seite.
Beim Abschluss ist darauf zu achten, ob wirklich die Weichen für ein zukünftiges Zusammenarbeiten gestellt worden sind, wie bspw. durch das Einholen von Pflichtenheften, die Vereinbarung weiterer Termine, das Fixieren nächster Schritte und so fort.
Tourenplanung
Aufgrund der geringen Lieferantentreue müssen die Kunden in regelmäßigen Abständen besucht werden, um zu überprüfen ob ein Projekt im Gange ist oder nicht.
Ansonsten läuft man Gefahr, Aufträge zu verlieren, insbesondere wenn es sich um nicht strategische Einkäufe handelt.
Das bedeutet eine permanente Präsenz bei den Kunden. In Frankreich spricht man von der „Saturation commerciale“ („ständig auf der Matte stehen“).
Zur Vermeidung von blindem Aktionismus ist eine durchdachte Tourenplanung äußerst wichtig. Dazu gehören:
- das Festlegen der Gebiete;
- die Kategorisierung der Kunden in A-, B- oder C-Kunden;
Meistens gilt das Paretoprinzip des 80/ 20, welches besagt, dass 80 Prozent der Ergebnisse in 20 Prozent der Gesamtzeit eines Projekts erreicht werden. Die verbleibenden 20 Prozent der Ergebnisse benötigen 80 Prozent der Gesamtzeit und verursachen so die meiste Arbeit;
- Planung der Tour: einmal im Monat oder alle sechs Wochen.
Ziel ist, dass sich die Außendienstmitarbeiter auf Kunden mit tatsächlichem Potential konzentrieren und nicht nur „Smileys" besuchen.
A-Kunden müssen mit absoluter Priorität behandelt werden. Erst wenn die Termine mit diesen feststehen, werden B-Kunden angesprochen.
Bei Individualisten spielt Zeit oder das pünktliche Einhalten von Terminen eine eher untergeordnete Rolle. Teilweise gleicht die Situation der beim Arzt - man sitzt im Wartesaal und muss warten - und das kann dauern.
Außerdem sind Gespräche sehr dehnbar und können eine halbe Stunde, aber auch bis zu vier Stunden dauern.
Daher sollte man entweder erst gar keine Folgetermine planen oder ein ausreichend großes Zeitfenster von bis zu drei Stunden einplanen. Wird der vorgesehene Zeitpuffer nicht ausgeschöpft, so kann man dennoch die Zeit nutzen und die B- oder C-Kunden im Umkreis anrufen, um sich spontan zu treffen - „Je passais dans la région“ – „ich war gerade in ihrer Umgebung“.
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