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Beschwerdemanagement in Frankreich

Veröffentlicht am | Von Gilles UNTEREINER

Auszug aus der Veröffentlichung "Frankreich lohnt sich"  

Interessenskonflikte können immer auftreten. Dabei geht es weniger um deren Vermeidung als vielmehr um den Umgang damit. In Frankreich bedarf die Formulierung der Beschwerde viel Takt. Direktheit ist verpönt. Die Beilegung des Konflikts bedarf viel Entgegenkommen und einer großen Bereitschaft zu Kompromissen. 

Beschwerde-Formulierungen

Deutschland

In Deutschland bewegt sich der Mitarbeiter in einer sehr prozessorientierten und durchgeplanten Welt.

Aufgrund des präzisen Ineinandergreifens der unterschiedlichen Handlungen haben Störungen weitreichende Konsequenzen, denn sobald einer der Akteure seiner Pflicht nicht nachkommt, ist das ganze System blockiert.

Konfliktsituationen verursachen Stress, und es werden Verantwortliche für das Problem gesucht. Der Fehler muss letztlich von jemandem verantwortet werden.

Es ist entweder der Fehler eines Weisungsempfängers/ Ausführenden, der seine Pflicht nicht erfüllt hat oder der Fehler eines Vorgesetzten, der es versäumt hat, ordentliche Anweisungen zu geben.

Schwierigkeiten und Differenzen werden offen angesprochen. Alles wird schonungslos diskutiert.Dabei werden Beschwerden sehr direkt und zum Teil sogar mit Nachdruck hervorgebracht.

Man praktiziert ein hartes Konfliktmanagement - eine direkte Kommunikation ohne Understatements - und ist sogar stolz auf diese Direktheit.

Frankreich

Entstehen Probleme, ist offene Kritik, besonders in menschenorientierten Ländern verpönt. Der Partner darf nicht bloßgestellt werden. Keiner soll sein Gesicht verlieren.

Das Streben nach Harmonie steht immer im Vordergrund. Da man viel Zeit in den Beziehungsaufbau investiert hat, will man

  • den Anderen nicht destabilisieren;
  • die Qualität der persönlichen Beziehungen nicht beeinträchtigen bzw. sogar gefährden;
  • das Vertrauen keinesfalls aufs Spiel setzen.

Die kleinste Anfechtung kann verletzend wirken und das Vertrauen brechen. Hier werden Konflikte so weit wie möglich vermieden. „L’évitement des conflits“ – die Konfliktvermeidung.

Höflichkeit und Taktgefühl nehmen eine vorrangige Rolle ein.

Direktheit wird als Zeichen von Machtanspruch und nicht von Ehrlichkeit interpretiert.

Außerdem herrscht in einer Gruppe trotz des Individualismus das Solidaritätsprinzip. Wird also einer aus der Gruppe angegriffen, so wird die Gruppe ihn verteidigen bzw. beschützen.

Ein potentieller Verfolger wird durch sein Verhalten eine Gefahr für alle: Er könnte sie später auch angreifen. Darum werden die Gruppenmitglieder das Opfer automatisch verteidigen.

Mit Kritik muss man sehr vorsichtig umgehen. Sogar die sogenannte konstruktive Kritik hat einen unheimlich störenden Effekt auf die Beziehungsebene.

Probleme gibt es sowieso nicht! Das Problem wird derjenige der von Problemen spricht..

„Unstimmigkeiten“:

41 Prozent der französischen Top-Manager befürchten, dass es zu Unstimmigkeiten oder Reibereinen mit anderen Top-Managern im Unternehmen kommt. Diese Angst haben nur 26 Prozent der Deutschen und nur 13 Prozent der Engländer“. Diese Ergebnisse basieren auf einer Studie des Beratungsunternehmens „Development Dimensions International DDI“, im Zuge derer 201 Top-Manager in Deutschland, Frankreich und Großbritannien befragt wurden.

In Frankreich praktiziert man ein „Softes, diplomatisches Konfliktmanagement“.

Bei der Beilegung von Konflikten bedarf es höflicher Umgangsformen und eines Höchstmaßes an Fingerspitzengefühl: “Toute vérité n’est pas bonne à dire” – „es muss nicht jede Wahrheit ausgesprochen werden.“ Probleme werden nur selten offen und direkt angesprochen.

Kritik darf nur indirekt, in Lob und Anerkennung eingebunden sein, und sie muss "durch die Blume" formuliert werden.

Wie man eine Beschwerde richtig formulieren sollte:

  • Positive Faktoren und Erfolge hervorheben.
    Jede negative Kommunikation sollte durch einen positiven Auftakt eingeleitet werden. Daher empfiehlt es sich, Vertrauen zu bestätigen, bevor man Dinge anspricht, die nicht so gut funktionieren;
  •  Formulierung der reinen Problematik auf Sachebene.
    Hier sollte man darauf achten, die Problematik nicht zu personalisieren! Dies käme einer Schuldzuweisung gleich und würde den Gegenüber in die Defensive drängen. Dadurch würde auch die Kommunikation wiederum beeinträchtigt werden.

Anstelle der Formulierung „du hast nicht….“, sollte man vielmehr Formulierungen wie „wir haben…versäumt“, „Es ist etwas passiert und wir müssen gemeinsam den Vorfall analysieren“, „Wie können wir gemeinsam eine Lösung finden?“, usw. verwenden.

Hier ist es wichtig, offene Fragen zu stellen, um den Sachverhalt wirklich zu verstehen und entsprechend andere Lösungsansätze bieten zu können.

Ziel ist, den Anderen durch bewusste Fragestellungen zu dem Ergebnis zu führen, dass er selbst erkennt, wie er zur Vermeidung von Problemen künftig handeln sollte – „Was empfehlen Sie für das nächste Mal?“

Dieser Prozess verpflichtet den Anderen, beim nächsten Mal ordnungsgemäß zu handeln.

Das will nicht heißen, dass es unter Franzosen keine Aggressivität gäbe. Drückt sich jemand jedoch nicht taktvoll aus, so ist davon auszugehen, dass die Beziehung schon vorher beeinträchtigt war, und dass schon früher etwas schief gegangen ist.

Der Deutsche handelt nach dem Motto "Wer schreibt, der bleibt". Die schriftliche Darstellung eines Problems in Frankreich führt jedoch meist zur Eskalation einer Situation. Daher sollte man nur dann zum „Schriftlichen“ übergehen, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Generell ist der Versuch, Probleme verbal zu lösen empfehlenswert. Sei es telefonisch oder noch besser, in einem Gespräch unter vier Augen, aber idealerweise nicht in Anwesenheit Dritter.

Für Manchen scheint dies übertrieben diplomatisch zu sein. Wenn man seine Gegenüber jedoch verärgert,

  • macht man keine Geschäfte mehr (wenn es sich um Vertriebspartner handelt);
  • und sie stellen auf stur und werden unproduktiv (wenn es sich um Mitarbeiter handelt).

Beschwerdemanagement in Frankreich

Als Ausganssituation sollte man die Beziehungsebene sichern und eine angstfreie Atmosphäre herstellen, bevor man Stellung nimmt.

Sollte es Unklarheiten geben, so ist wieder die TSÜE-Methode mit kleinen Abweichungen einzusetzen:

T - Tatsachenanalyse aufgrund der eigenen Wahrnehmung
S - Stellungnahme
Ü - Überprüfung
E - Entscheidung

Tatsachenanalyse

Ziel: Identifizierung sämtlicher Vorfälle, um sicherzustellen, dass im Nachhinein keine zusätzlichen, ungeklärten Fälle auftauchen;

Mittel: Tatsachenanalyse zur Überprüfung, ob man alles genau verstanden hat („Wenn ich Sie richtig verstehe, …“ - den genauen Sachverhalt mit seinen Worten beschreiben – paraphrasieren).

Stellungnahme

Ziel: Deeskalation durch Verständnis und Signalisieren der Bereitschaft zu fairem Miteinander.
Neutralisieren aller Emotionen, indem man beweist, dass man ein fairer Geschäftspartner sein wird und um den Anderen psychologisch für sich zu gewinnen.

Mittel: Entschärfung der Situation durch Zustimmung. Sich mit dem Problem identifiziern („Unter diesen Umständen, …na klar“ und selbstverständlich „Danke für die Anregung“).

Überprüfung

Ziel: Sachliche Überprüfung aller Vörfälle und Abläufe

Mittel: Checkliste - aufgebaut wie ein Fehlerbaum („arbre de défaillance“)

Entscheidung

Letztlich gilt es festzustellen, wer für den entstandenen Schaden verantwortlich ist.

Jeder Versuch, die Konflikte rein sachlich zu lösen, wird als Vertrauensbruch wahrgenommen.

Ein kompromissloses „DU bist SCHULD!“ ist zwar möglich, aber das nur ein einziges Mal.
Man muss Kompromissbereitschaft zeigen.

Bei kleineren Beschwerden wird erwartet, dass man aus Kulanz und Großzügigkeit den Schaden auf sich nimmt.

Bei Beschwerden von größerer Bedeutung erwartet man (solange die Schuldfrage nicht eindeutig geklärt ist) einen Kompromiss, das heißt, jeder übernimmt einen Teil der Schuld bzw. der Verantwortung: „Couper la poire en deux“ („die Birne in zwei teilen“).

Gesten dieser Art stärken die Bindung und das Beziehungskapital.

Ein solches Entgegenkommen löst bei dem Partner die Verpflichtung aus, das nächste Mal selbst Entgegenkommen zu zeigen.

 

Veröffentlichung “Frankreich lohnt sich”, jetzt kostenlos als PDF bestellen   

 



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