Verhandlungstaktiken in Frankreich: 2 - Die Bedarfs- und Motivationsanalyse

Veröffentlicht am | Von Gilles UNTEREINER

Auszug aus der Veröffentlichung "Frankreich lohnt sich" 

Deutschland

Der Experte erwartet von seinem Ansprechpartner konkrete Lösungen für den Alltag.

Vertrauen ist sachbezogen. Er erwartet, dass man ihn anhand erprobter Verfahren überzeugt.

Da man möglichst schnell zum Ziel kommen möchte, setzt man auf die weit verbreitete „Unternehmenspräsentation“. Das Unternehmen sowie gezielte Produkte und Leistungen werden vorgestellt, Alleinstellungsmerkmale und Referenzen werden herausgehoben.

Schließlich möchte man kompetent wirken und überschüttet sein Gegenüber nicht nur mit seinen Alleinstellungsmerkmalen, sondern beschreibt sein Produkt bis ins letzte Detail. Nennen wir das die „Produktorientierung“.

Die B&MA (Bedarf- und Motivationsanalyse) hingegen ist meistens sehr knapp.

Frankreich

Die Erwartungen eines „Polyvalente-Kunden“ gehen Richtung Beratung, weg von der Leistungsschau. Wichtig sind für ihn nicht das „Angebot“, sondern seine „Bedürfnisse”.

Eine sehr direkte Darstellung im Laufe einer Unternehmenspräsentation, wie es in Deutschland üblich ist, gilt als „Leistungsschau“.

Wenn man nicht am Kunden „vorbeifahren“ will, muss man ein globales Verständnis für die Interessenslage des Kunden beweisen, es bedarf also einer echten Bedarfs- und Motivationsanalyse, um die Bedürfnisse der Beteiligten in Erfahrung zu bringen.

Das sofortige Argumentieren ohne fundierte B&MA hat ständige Einwände zur Folge. Behauptungen erzeugen hauptsächlich Widerspruch, und ohne Befragungen gerät man meistens in eine Sackgasse.

Die Angelsachsen sprechen auch von einem PSA – Problem Solving Approach.

In Deutschland würde eine B&MA nicht schaden, in Frankreich ist es ein absolutes MUSS, ohne dass der Kunde auf stur schaltet. Fragen sind eine Interessens-bekundung. Zum Argumentationsteil sollte man erst nach einer vollständigen Bedarfs-& Motivationsanalyse gelangen.

Dies ist kein Markt für Fachautisten ohne Interesse an den Bedürfnissen der Kunden. Der Vertrieb braucht engagierte Verhandlungspartner. Verkaufen erfordert eine starke Orientierung an den Interessen und Prioritäten der anderen Partei, eine echte „Kundenorientierung“.

Es bedarf einer echten Fragekultur.

Die 4-C-Methode mit ihrer ausführlichen Bedarfs- und Motivationsanalyse ist in Frankreich der normale Weg zum Kunden.

 Ausnahme: Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH)

In Deutschland zählen Fachexpertise und Erfahrung, weshalb man oft einen fach- und branchenerfahrenen Einkäufer als Ansprechpartner hat. Da die Deutschen insgesamt weniger häufig den Job wechseln, kommt es vor, dass die Einkäufer „alte Hasen“ sind, auf deren Fragen man sich sehr gut vorbereiten muss.

In Frankreich stehen Abwechslung und Mobilität im Vordergrund. Somit bleiben Einkäufer bzw. Kontaktpersonen nicht sehr lange auf einer Position und entwickeln somit auch keinerlei Branchenwissen. Daher wird oftmals vom Lieferanten erwartet, dass dieser die notwendigen Markt- und Produktinformationen vermittelt und Optimierungsmöglichkeiten im Vergleich zum bestehenden Produktportfolio aufzeig.

Fragetechniken

  • Erster Schritt: Offene Fragen

Zum Aufbau des Gesprächs bedarf es offener Fragen wie zum Beispiel: “Wie sieht es aus in der Branche?” – “Wie laufen die Geschäfte?” – “Wie sieht es bei Ihnen aus?“

Was wäre das Idealprodukt? Ihre Ideal- bzw. Traumlösung? Ziel ist es, durch geschickte Fragestellungen ein „quasi Brainstorming“ auszulösen, so dass der Kunde seine Wünsche, Vorstellungen und Ideallösungen vorstellt.

Allerdings besteht darin auch der Nachteil, dass die offenen Fragen zu einer Vielzahl von Sonderwünschen führen können, die den Aufwand zur Angebotserstellung und Preiskalkulation erheblich erhöhen. Unter Umständen sind manche Sonderwünsche mit dem aktuellen Know-how des eigenen Unternehmens nicht realisierbar.

Dementsprechend muss man im Nachhinein den Kunden über geschlossene Fragen auffangen und zum Ziel bringen – ganz nach dem SWAN–Modell („Sell Whats Available Now“).

Nachdem dem Kunden die Möglichkeit gegeben wurde, seine idealen Vorstellungen bzw. sogar seine Fantasien zu äußern, muss man ihn letztendlich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

  • Geschlossene Fragen

Nach Abschluss des Brainstormings ist die Befragung über seine bisherigen Praktiken der effizienteste Weg zur Ermittlung des konkreten Bedarfs eines Kunden: Was hat er bislang gekauft? Was hat er bislang eingesetzt? Welche Mengen? Bei welchem Hersteller hat er eingekauft? Wie war er bisher zufrieden? – etc.

Geschlossene Fragen erlauben sogar die Ermittlung der Bandbreite des Budgets des Kunden. Dabei sollte klar sein, dass ein Kunde normalerweise nicht mehr als 10 bis 15 Prozent von seinem aktuellen Budget abweichen wird.

Aktives Zuhören/ Interaktiver Dialog

Hier muss man dynamisch, das heißt, aktiv zuhören.

Zurückhaltung ist wichtig, es gilt, nicht sofort zu argumentieren. Es bedarf großer Aufmerksamkeit für die kleinsten Anmerkungen des Gesprächspartners. Denn hinter jeder Anmerkung stecken Themen, die man vertiefen kann, soll oder muss.

Die eigentliche Argumentation sollte erst dann beginnen, wenn man genügend Informationen über alle Bedürfnisse und Hintergründe hat.

Die durch den Kunden angesprochenen Probleme dürfen zur Vertiefung des Themas durchaus neu aufgegriffen werden („Sie meinten, dass …“, „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, …“). Diese Fragen signalisieren Interesse.

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