Meeting Management in Frankreich

Veröffentlicht am | Von Gilles UNTEREINER

Auszug aus der Veröffentlichung "Frankreich lohnt sich" 

Deutsche und französische Meetings unterscheiden sich in Bezug auf: Ziele, Programm, Häufigkeit, Einladungen, Pünktlichkeit, Ablauf, Protokoll usw..

Gemeinsame Sitzungen müssen nach einer ganz speziellen Vorgehensweise organisiert werden wenn man Konfrontationen vermeiden will.

Ziele von Meetings

In Deutschland wird im Meeting auf der operativen Ebene entschieden.

In einem individualistisch geprägten Umfeld dienen Meetings nicht unbedingt dem gleichen Zweck.

In kleinen Unternehmen fällt der Chef die Entscheidung alleine, und Meetings dienen hauptsächlich dazu, über getroffene Entscheidungen zu informieren.

Gegebenenfalls wird vorher ein „Echange“ (Ideenaustausch) in Form eines Brainstormings organisiert. Dieser Austausch dient jedoch ausschließlich zum Sammeln von Ideen und Informationen sowie zu einer Abschätzung der Machtverhältnisse. Eine Besprechung dient lediglich als Diskussionsforum.

In größeren Unternehmen dienen Projekt- oder Statusmeetings ebenfalls als Informationsrunde, um allen Beteiligten einen Überblick über den aktuellen Status des Projektes zu geben und um sich auf operativer Ebene abzustimmen.

Entscheidungen werden zwar auf operativer Ebene vorbereitet, getroffen werden sie aber auf Managementebene. Damit ist „die Messe gelesen“ - „La messe est dite" sagt der Franzose.

Dies macht es schwierig, den eigentlichen Entscheider sowie die Beweggründe für die Entscheidung festzustellen.

Infolgedessen muss eine tatkräftige Lobby zur Beeinflussung der Entscheidungen organisiert werden.

Dringlichkeiten oder auch weniger dringende Angelegenheiten werden nicht in Form von Meetings, sondern „au fil de l’eau“ (nach und nach) im Rahmen eines informellen Gedankenaustauschs mit den Betroffenen, sei es ein Vorgesetzter oder ein Arbeitskollege, in Form von Einzelgesprächen, anlässlich eines Anrufs, beim Besuch im Büro eines Kollegen oder gegebenenfalls an der Kaffeemaschine diskutiert.

Proramm (Tagesordnung)

Deutschland

In gemeinschaftsorientierten Gesellschaften wie der deutschen wird vieles im Rahmen von Meetings entschieden.

Deshalb muss das Meeting unbedingt mittels eines ausführlichen Programms (inklusive Gegenstand der Diskussion, Teilnehmer, Zeitplan usw.) vorbereitet werden. 

Frankreich

In einem individualistisch geprägten Umfeld wie Frankreich gibt es nicht unbedingt ein detailliert ausgearbeitetes Programm.

So kann es durchaus vorkommen, dass der erste Programmpunkt „Erstellen des Programms“ lautet.

Gibt es doch ein Programm, so ist dies sehr „flexibel“, d.h., die einzelnen Programmpunkte sind „offen und dehnbar“ und unterliegen nur in den seltensten Fällen einem engmaschigen Zeitplan. Den Abschluss bildet meist der berühmte Punkt "Divers“, also „Sonstiges“. Das Programm dient also hauptsächlich zur Orientierung des Gespräches und nicht als „bindendes Korsett“.

Im Laufe der Sitzung kann es Ausschweifungen („digressions“,) geben, und man hält sich nicht unbedingt an das Programm. Ein sehr ausführliches und strikt eingehaltenes Programm kann als Dominanz angesehen werden.

Häufigkeit der Meetings

Deutschland

In Deutschland möchte man die Mitarbeiter in den Enscheidungsprozess einbinden und ritualisiert daher die Meetings durch eine langfristige Vorausplanung.

Frankreich

In Frankreich werden die Abläufe tagtäglich besprochen und man will beim Lösen des Problemes nicht auf später stattfindende Sitzungen angewiesen sein. Wie schon gesagt, finden oft Besprechungen am Arbeitsplatz (Büro) oder auch an der Kaffeemaschine statt.

Dementsprechend sind Sitzungen nicht immer lange im Voraus geplant.

Eine „invitation ad hoc“ (Ad-hoc-Einladung) ist sogar Zeichen für die Wichtigkeit der Angelegenheit.

Einladung zu Meetings

Deutschland

In Deutschland gibt es einen Verteiler mit allen Projektmitarbeitern. Zu Meetings werden nur jene eingeladen, die bezüglich des Themas kompetent sind und auch gebraucht werden.

Frankreich

In Frankreich werden Projekte auf operativer Ebene vorbereitet und müssen anschließend vom Management unterschrieben werden.

Um sicherzustellen, dass die Entscheider ein Projekt nicht blockieren werden, sollten möglichst viele Beteiligte zum Meeting eingeladen werden.

Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass nicht nur die Experten, die Spezialisten, die Fachleute – also „die Wichtigen“, sondern auch die Vertreter des Managements – also „die Richtigen“, eingeladen werden sollten.

Alle möglichen Entscheider müssen identifiziert, in den Verteiler integriert und eingeladen werden.

Pünktlichkeit

Deutschland

Bei formellen Meetings wie in Deutschland, in denen Entscheidungen getroffen werden, ist Pünktlichkeit von sehr großer Bedeutung. Zu spät zu kommen ist für die anderen Mitarbeiter ein Affront. Pünktlichkeit bedeutet in Deutschland Zuverlässigkeit. 

Frankreich

Bei informellen Meetings wie in Frankreich, bei denen es hauptsächlich um den persönlichen Meinungs- und Informationsaustausch geht, ist dagegen durch Verspätungen keiner verärgert.

Wird ein Meeting jedoch durch den Besuch eines Vorgesetzten unterbrochen, was durchaus vorkommen kann, muss der Besucher auf den aktuellen Stand der Gespräche gebracht werden.

Ablauf von Meetings in Frankreich

Deutschland

In Deutschland wird anhand des Programmes ein Punkt nach dem anderen, in sequenzieller Form „abgehakt“. Auch Entscheidungen werden nach und nach getroffen.

Frankreich

Bei Individualisten ist das so nicht immer der Fall:

Begrüßung

Das Beziehungskapital muss durch zwischenmenschliches „Geplauder“ ständig aufgefrischt werden. Somit kann das Begrüßungsritual bei einer großen Runde einige Minuten dauern;

Tour de table – Aufforderung zum Brainstorming

Jedem wird die Gelegenheit zur freien Äußerung geboten – ganz gleich, ob es darum geht, seine „Dringlichkeiten" geltend zu machen, nach Unterstützung bei Projekten zu fragen oder aber von seinen Erfolgen zu berichten.


Zunächst sollte sich jeder entsprechend äußern dürfen, ansonsten läuft man Gefahr, dass dies während des Meetings geschieht und der Ablauf gestört wird.

Diese „Tour de table“ ist meistens ein Appell für Anregungen, der ein erstes Brainstorming auslösen kann.

Möchte man einen allzu großen Zeitverlust vermeiden, so sollte man die Fragen der Einen und die guten Anregungen der Anderen mittels eines Metaplans auflisten.

Ziel ist es, einige dieser Punkte am Ende des Meetings zu besprechen, wenn es zeitlich möglich ist. Andere Punkte können mit der Bitte um die Ausarbeitung eines Konzeptes, vertagt werden. War es ein wichtiger und guter Punkt, so wird sich der Betroffene bestätigt fühlen. War es eine Schnapsidee, so wird sich der Betroffene das nächste Mal davor hüten, sich unnötige Arbeit zu machen.

Diese Vertagungstechnik sollte auch dann angewandt werden, wenn trotz der „Tour de table“ zu einem späteren Zeitpunkt ein nicht vorgesehenes Thema während des Meetings auftaucht;

Berücksichtigung des Programmes

In Frankreich gilt es, stets flexibel zu bleiben. Das Programm ist als dynamischer Zeitplan zu verstehen. Unter Umständen ziehen es einige Teilnehmer vor, mit Punkt vier statt mit Punkt eins zu beginnen.

Dabei kommt es durchaus vor, dass einige Programmpunkte modifiziert, andere kaum diskutiert und nur am Rande angesprochen werden;

Moderation des Meetings

Ein Meeting braucht unbedingt einen offiziellen Moderator.

Dieser hat – sobald ein Programmpunkt angesprochen wird - die Aufgabe, dafür zu sorgen,

  • dass alle Betroffenen zu Wort kommen;
  • dass keiner das Wort monopolisiert;
  • dass Anregungen und Widersprüche nicht nur subjektiv bleiben, sondern auch objektiv erläutert werden.

Selbstverständlich setzt das alles ein gutes Fingerspitzengefühl voraus: Der Moderator muss sein Ziel verfolgen, ohne in Form von Aussagen wie „darauf kommen wir später zu sprechen“, „zurück zum Thema“ oder „Kommen Sie zur Sache!“ zu direkt zu sein.

Grundsätzlich gilt, dass den Teilnehmern zugehört und auf sie eingegangen werden muss. Ansonsten fühlen Sie sich zurückgestoßen - das gilt übrigens nicht nur für französische Gesprächspartner.

Permanenz der Entscheidungen

Sind Entscheidungen tatsächlich bindend („binding“) oder handelt es sich nur um temporäre Abstimmungen?

Deutschland

In Deutschland haben meist die Experten das Sagen und entscheiden souverän im Rahmen eines sequenziellen Ablaufs. Ein präzises Programm gibt ihnen die Gelegenheit, sich für das Meeting genauestens vorzubereiten und ihre Vorstellungen zu äußern.

Eine nachträgliche Änderung wird als Fehler betrachtet, den es nach Möglichkeit zu vermeiden gilt. Flexibilität wird als Unbeständigkeit, nicht linientreu, interpretiert.

Veränderung gibt es nur im äußersten Fall, wenn bewiesen werden kann, dass es nicht anders möglich ist.

Frankreich

Die Franzosen dagegen sind durch eine darwinistische Einstellung geprägt. Das Leben ist ein fortlaufender Prozess und Evolution bestimmt den Lauf der Dinge.

Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass man sich in einem permanenten Anpassungsprozess verändern muss. Entsprechend ist in Frankreich die Veränderung bzw. der Wandel das einzig Beständige.

Von der einen auf die andere Sitzung kann es durchaus vorkommen, dass auf längst abgehakte Punkte zurückgekommen wird. Eine Entscheidung kann grundsätzlich umgeworfen werden, wenn sich ein entscheidender Faktor inzwischen geändert hat.

Schon behandelte Themen können in späteren Meetings wieder aufgegriffen werden, weil es vielleicht wieder neue Erkenntnisse dazu gibt - « des éclairages nouveaux », wie der Franzose sagt.

Tritt dies ein, kann bzw. muss der gesamte Entscheidungsprozess „reorientiert“, also angepasst werden. Das heißt, nachträgliche Änderungen sind jederzeit möglich.

Das Brainstorming geht dann weiter und vorher getroffene Entscheidungen können umgeworfen werden.

Das charakterisiert das französische Projektmanagement.
In Frankreich ist dies ein Zeichen von Intelligenz und Flexibilität.
Entscheidungen sind momentane Willenserklärungen.

Protokoll

Deutschland

Da das Meeting wie in Deutschland dem Herbeiführen einer Entscheidung dient, erstellt man ein sequentielles Verlaufsprotokoll und berichtet Schritt für Schritt über die Standpunkte der einzelnen Teilnehmer, um im Nachhinein alles nachvollziehen zu können.

Immer üblicher wird auch das Ergebnisprotokoll.

Frankreich

Wenn das Meeting jedoch wie in Frankreich hauptsächlich dem Informationsaustausch dient, sind Protokolle praktisch unnötig. Sollte doch ein Protokoll erstellt werden, so handelt es sich eher um ein Ergebnis- als um ein Verlaufsprotokoll.

Da es in multikulturellen Meetings sehr schnell zu Missverständnissen kommen kann, ist es ratsam, trotz gegensätzlicher französischer Gewohnheiten, alles genauestens zu protokollieren und allen im Meeting nicht anwesenden Entscheidungsträgern die Protokolle zuzusenden.

Da in den Protokollen also üblicherweise kaum etwas berichtet wird, schenken die meisten Mitarbeiter diesen auch keine besondere Beachtung. Wurden wichtige Entscheidungen und/ oder „To-Dos“ festgehalten, sollte man telefonisch nachfassen, um sicherzugehen, dass es auch gelesen wurde und dass die Betroffenen die To-Dos umsetzen werden.

Dies gilt ganz besonders für Mitglieder des Managements, die nicht an der Sitzung teilgenommen haben. Ziel ist es, sich ihre Meinung anzuhören, um sie eventuell beeinflussen zu können, sollten sie mit den Ergebnissen nicht einverstanden sein.

Aus diesem Grund ist es wichtig – wenn auch in Frankreich unüblich - den Entwicklungsstatus eines Projektes genauestens darzustellen, bevor die Diskussion beginnt.

 

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